Eröffnungsrede 2024
Das vergangene Jahr hat uns Saat- und Pflanzgutproduzenten wieder mit einigen Hürden aufgewartet. Zuerst hat uns ein nasser Frühling viel Geduld abverlangt. Den späten bis sehr späten Saat- und Pflanzterminen von Mais, Soja und Kartoffeln, folgte ein trockener und heisser Sommer. Das war gerade den Kartoffelkulturen nicht zuträglich. Hat die Ernte unserer Getreidebestände noch zufriedenstellende Erträge von hervorragender Qualität geliefert, ergaben die Probegrabungen bei den Pflanzkartoffelproduzenten mehrheitlich lange Gesichter. Eine enttäuschende Ernte ein drittes Jahr in Folge. Zu späte Pflanzungen mit zu vielen eingegangenen Kompromissen, Sommertrockenheit und viele Abweisungen aufgrund von Virusbefall. Swisssem sieht sich mit der kleinsten Pflanzkartoffelernte seit ihrem Bestehen konfrontiert. Dementsprechend dominierend ist momentan dieses Thema bei swisssem und in der ganzen Kartoffelbranche und ich erlaube mir, zu diesem Thema etwas auszuholen.
Fehlendes Pflanzgut ist keine «swisssem- interne Angelegenheit», keine «Familiensache» unter den Pflanzgutproduzenten und den Vermehrungsorganisationen. Nein, das hat eine weit grössere Dimension angenommen. Uns wird in diesen Tagen klar vor Augen geführt, was es bedeutet, wenn wir als Pflanzgutproduzenten unsere Aufgabe nur noch teilweise erfüllen können. Zur schwindenden Anbaubereitschaft von Pflanzkartoffeln in der Schweiz, ein noch sehr junges Phänomen, gesellt sich ein neues, nämlich eine europaweite Verknappung des Angebots an Kartoffelpflanzgut. Das bis anhin immer verlässliche Ventil «Import» verweigert teilweise seinen Dienst. Es ist nicht eine Frage der Kaufkraft und des Preises, nein, die Ware ist schlicht nicht vorhanden. Bereits ist die Rede von «Aushilfspflanzgut», also Speisekartoffeln die als Pflanzgut verwendet werden sollen. Wir stellen fest, dass in der ganzen Branche Nervosität herrscht. Zu Recht, denn es drohen Verdienstausfälle auf allen Stufen der Wertschöpfungskette und die Versorgungssicherheit ist teilweise in Gefahr. Dass der Markt nicht mit genügend zertifiziertem Gebrauchspflanzgut versorgt werden kann, wäre an sich schon dicke Post genug. Doch für uns Pflanzgutproduzenten weit tragischer sind die fehlenden Vermehrungsposten, die schweiz- und europaweit nicht, oder nur sehr schwierig zu beschaffen sind. Flächen von motivierten Pflanzgutproduzenten können somit aufgrund dieses Pflanzgutmangels gar nicht erst gepflanzt werden. Sollte die Importsituation auch künftig angespannt bleiben, wird sich diese Problematik auch nächstes Jahr wiederholen und wohl noch verschärfen. Multiplikationseffekt halt, das muss ich Euch nicht erklären.
Damit wird deutlich, wie sehr wichtig, wie strategisch bedeutungsvoll ein inländischer Sortenaufbau ist. Jede Bemühung im Dienst der Erzeugung von Vorstufenpflanzgut, sei es in der sterilen Arbeit von Daniel Page mit der Mikrovermehrung, sei es der aufwändige Anbau in Kistchen im geschützten Gewächshaus, seien es schmerzende Muskelfasern und wunde Hände vom Verlegen von Schutznetzen für den Tunnelanbau: Jeder Handgriff hat sich ausbezahlt. Ich zolle all jenen, die sich da investieren, allerhöchsten Respekt und Danke ihnen im Namen von swisssem für ihr Zusatzengagement! Diese wichtige Aufbauarbeit ganz in unseren Händen wird auch künftig ein solides Fundament für eine verlässliche Pflanzgutverfügbarkeit zu Gunsten der Kartoffelproduzenten und der ganzen Branche sein. Ja, die Lösungen fallen eben nicht vom Himmel, sondern wir werden uns selbst helfen müssen.
swisssem hat sich zum Ziel gesetzt die schwierige Situation der Pflanzkartoffelproduktion und im Besonderen die schwindende Anbaubereitschaft unserer Produzenten zu analysieren. Wir brauchen eine seriöse Lagebeurteilung. Logisch haben wir nur wenig, bis keinen Einfluss auf Wetter und Klima, welche letztendlich unsere Paloxen füllen, aber es werden andere interessante Faktoren zu Tage treten, wo wir hoffentlich mehr Handlungsspielraum haben, um Gegensteuer zu geben. Die von swisssem beschlossenen Preiserhöhungen für Pflanzgut ab der Ernte 2022 zeigen dabei in die richtige Richtung und werden von der Branche mitgetragen. Parallel dazu fordern wir mit Nachdruck eine Erhöhung der Einzelkulturbeiträge für die Pflanzgutproduktion, aber auch für die Saatgutproduktion von Gras, Klee, Mais und auch Getreide. Wir sind dankbar für die Partnerschaft und die wertvollen Dienste des BLW und insbesondere Agroscope, welche die gesetzlichen Anforderungen an die Pflanzengesundheit kontrolliert und durchsetzt und die hohen Qualitätsstandards mittels Zertifizierung bescheinigt. Einer Erneuerung des Vertrages zwischen dem BLW und swisssem im Zusammenhang mit der Delegation der Kontrollen in der Pflanzkartoffelerzeugung, sehen wir positiv und mit neuer Zuversicht entgegen, auch wenn es im Dossier noch eine Zusatzschlaufe braucht.
swisssem setzt sich zum Ziel, für ihre Mitglieder möglichst gute Rahmenbedingungen zu schaffen, damit auch in Zukunft eine wirtschaftliche Saat- und Pflanzgutproduktion möglich ist. Dazu brauchen wir – und ich komme damit zum Abschluss meiner Ausführungen – dafür brauchen wir eine verlässliche Agrarpolitik, die nicht nur einseitig und ideologisch getrieben die Extensivierung fördert, sondern, die sich dem Stellenwert des Pflanzenbaus und speziell des Ackerbaus für die ganze Ernährungswirtschaft wieder bewusst wird und ihre Verantwortung wahrnimmt. Dass die Schweizer Stimmbevölkerung dieses Jahr ein weiteres Mal über ein extremes Extensivierungsbegehren, die sogenannte Biodiversitätsinitiative abzustimmen hat, zeigt uns exemplarisch, wie sehr unsere Landwirtschaftsbetriebe unter Druck sind. Zu Unrecht! Ich bin überzeugt, dass swisssem zusammen mit den grossen Ackerbauorganisationen, aber auch dem Schweizer Bauernverband in der Pflicht steht, zusammenzustehen und ihre Stimme zu erheben. Das mag zwar etwas pathetisch tönen, ist aber von Nöten, denn ich glaube, dass gewisse Zeichen der Zeit nicht mehr richtig interpretiert werden. Nicht dass wir, wie etwa gerade unsere Deutschen Berufskollegen mit den Bauernprotesten, eine unfähige Ampelregierung aus der Angel heben müssten. Nein, aber wir müssen von der Basis her, adressiert an Politik, Verwaltung, Medien und Konsumenten möglichst gut aufzeigen, was wir brauchen.
Wir müssen Erklären, wohin die Reise mit dem eingeschlagenen Kurs, bestehend aus Absenkpfaden, ausgedünnter Betriebsmittelliste, zusätzlicher Biodiversität und komplizierter Direktzahlungsarchitektur führen wird. Sie führt eindeutig zu einer Schwächung des Schweizer Ackerbaus mit einem Wertschöpfungsverlust an breiter Front, verstärkte Abhängigkeit von ausländischen Nahrungsmitteln und zur Umstrukturierung vieler Betriebe. Eine solche Entwicklung ist nicht im Interesse eines starken und vielfältigen Ackerbaus im Dienst der Ernährungssicherheit gemäss Bundesverfassung Art. 104a und auch nicht im Interesse unseres Saatgutproduzentenverbandes, wo wir uns auch in Zukunft auf planbare Einlieferungsmengen und möglichst konstante Qualität verlassen müssen.
Werte Zuhörerinnen und Zuhörer. Ich bin überzeugt, dass die gegenwärtige Pflanzgutkrise bei den Kartoffeln letztendlich auch ihre positive Seite haben wird. Die Faktenlage lässt die Nebel der eben beschriebenen, uns bedrückenden Gemengelage rasch verziehen. Unser Profil als Saat- und Pflanzgutproduzenten wird dabei geschärft. Wir sind gefragt und gefordert, unsere Arbeit wird geschätzt, wir sind regional und national sehr gut organisiert. Wir sind massgeblicher Teil der Lösung. Damit erkläre ich die 102. Delegiertenversammlung eröffnet.